Stefan Radau
Gifted
Sehnsucht der Nacht
Kapitel 1
NEUANFANG IM MORGENGRAUEN
Clara saß am Esstisch ihrer kleinen Wohnung, das Notizbuch vor sich, das Flo ihr geschenkt hatte. Die Seiten waren leer, eine weiße Leinwand voller Möglichkeiten, die zugleich Verheißung und Bedrohung in sich trugen. Der kühle Wind, der durch das angelehnte Fenster wehte, trug den Duft von Regen und feuchtem Asphalt herein. Clara legte den Stift beiseite und atmete tief ein, als wolle sie den Wind und die Frische in sich aufnehmen, in der Hoffnung, dass es ihre Zweifel forttragen würde.
Der Gedanke, sich selbstständig zu machen, hatte sie in den letzten Wochen nicht mehr losgelassen. Seit sie herausgefunden hatte, dass sie hochbegabt war, schien es, als hätte sich ein neuer Horizont vor ihr aufgetan – ein Blick in eine Welt, die sie bisher nicht sehen konnte, obwohl sie immer geahnt hatte, dass sie da war. Endlich verstand sie, warum sie in ihrem Job immer wieder angeeckt war, warum ihre Ideen als »zu unkonventionell« abgetan worden waren. Clara hatte es satt, sich zu verbiegen, um in ein System zu passen, das nie für sie gemacht war. Flo hatte ihr den Mut gegeben, endlich diesen Schritt zu wagen, aber es blieb die Angst, die sich wie ein schwerer Schatten um ihr Herz legte.
»Bist du noch bei der Sache?« Flos Stimme holte sie zurück, als sei sie von einer weit entfernten Insel wieder ans Ufer gezogen worden. Er stand in der Küche und goss gerade den dampfenden Kaffee in zwei Tassen. Clara bemerkte, dass sie so tief in ihren Gedanken versunken war, dass die Welt um sie herum zu einem bloßen Flüstern verblasst war.
»Ja, ich bin da«, sagte sie, obwohl sie sich dessen selbst nicht sicher war. »Ich denke nur über alles nach.«
Flo stellte die Tassen auf den Tisch und setzte sich neben sie. Sein Blick war sanft, seine Augen ruhig, als könnten sie die Stürme in ihrem Inneren besänftigen. »Hier, dein Kaffee.« Er lächelte, und sie lächelte zurück, wenn auch zaghaft. In diesen Momenten fragte sie sich oft, wie er es schaffte, so fest verankert zu bleiben, während in ihr alles schwankte und tanzte, als sei sie ein Blatt im Wind. Seitdem sie über die Idee gesprochen hatten, einen Verein zu gründen, war da wieder dieser Funke in ihr gewesen – eine Sehnsucht, die sie beflügelte, und doch zugleich die Angst, die ihr Flügel beschwerte.
»Ich glaube, es ist einfach der Gedanke daran, wie sehr sich alles ändern wird, wenn ich diesen Schritt wage«, gestand Clara, und ihre Stimme klang beinahe wie ein Flüstern. »Die Sicherheit, die ich in meinem Job habe, auch wenn sie mich nie glücklich gemacht hat ... Ich werde das alles aufgeben, um etwas Neues zu beginnen.«
Flo nickte und legte seine Hand sanft auf ihre. Er drückte sie, und seine Wärme schien ein wenig von ihrer Kälte zu vertreiben. »Veränderung ist beängstigend, Clara. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte nie Angst davor gehabt. Aber schau dich an.« Er hielt inne, als müsse er die richtigen Worte finden, und fuhr dann leiser fort: »Du hast so viel in dir, so viele Ideen, die anderen Menschen helfen können. Dieser Verein – das wird Leben verändern. Und vor allem deines.«
Einen Moment lang sah sie ihn einfach nur an. Die Welt um sie schien zu verschwimmen, und es war, als sei es nur dieser Moment, der zählte. Dann lächelte sie. Es war ein zartes Lächeln, noch gefärbt von Unsicherheit, aber es war echt. »Du hast recht. Ich will es tun. Ich muss es tun – nicht nur für mich, sondern auch für all die Kinder, die genauso verloren sind, wie ich es einmal war.«
Flo grinste und hob seine Kaffeetasse. »Auf Veränderung und Mut«, sagte er, und seine Augen funkelten dabei. Sie stießen an, und während Clara einen Schluck trank, spürte sie, wie die Angst ein wenig von ihrem Gewicht verlor, während sich eine vorsichtige Vorfreude in ihr ausbreitete. Vielleicht war es an der Zeit, endlich den Platz in der Welt einzunehmen, der wirklich zu ihr passte.
Einige Tage später saß Clara in einem kleinen Café, das sie immer dann aufsuchte, wenn ihre Gedanken zu laut wurden und sie Stille in der Lebendigkeit suchte. Das Notizbuch lag vor ihr, diesmal nicht mehr leer. Worte und Skizzen füllten die Seiten – Ideen, Hoffnungen, Träume, die sie zusammen mit Flo für den Verein schmieden wollte. Ein Verein für junge Hochbegabte, die aus schwierigen Verhältnissen kamen. Kinder, die übersehen wurden, weil niemand das Licht in ihnen erkannte. Clara wusste zu gut, wie sich das anfühlte, übersehen zu werden, und sie wollte, dass niemand dieses Gefühl allein tragen musste.
»Entschuldigung, ist dieser Platz frei?« Die zögernde Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Clara blickte auf und sah eine junge Frau vor sich, kaum älter als zwanzig. Sie trug einen Stapel Bücher im Arm, und ihre Brille rutschte ihr fast von der Nase. Ihr Blick war unsicher, ihre Bewegungen vorsichtig. »Ja, natürlich, setz dich ruhig«, sagte Clara und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln.
Die Frau setzte sich und begann, ihre Bücher vor sich zu ordnen. Clara bemerkte, dass es Bücher über Psychologie waren. Sie dachte an ihre eigenen Therapiesitzungen, an die Gespräche mit Dr. Heller, die ihr geholfen hatten, ihre inneren Knoten zu lösen und die Schichten der Unsicherheiten langsam abzutragen. Es war ein langer Weg, und noch immer gab es Teile von ihr, die im Schatten lagen, aber sie fühlte, dass sie auf dem richtigen Pfad war. Clara beschloss, ein Gespräch zu beginnen.
»Studierst du Psychologie?«, fragte sie, während sie auf die Bücher deutete. Die junge Frau sah auf und nickte. »Ja, im zweiten Semester. Es ist spannend, aber manchmal auch ziemlich herausfordernd.« Ihr Lächeln war schüchtern, aber es erreichte ihre Augen.
Clara nickte verständnisvoll. »Das kann ich mir vorstellen. Ich bin selbst in Therapie, und es beeindruckt mich immer wieder, wie tief man graben muss, um wirklich zu verstehen, was in einem vorgeht.«
Die Frau sah sie neugierig an. »Das erfordert viel Mut«, sagte sie. »Viele Menschen haben Angst davor, sich selbst wirklich zu begegnen.« Clara lächelte leicht. »Ja, das stimmt. Aber ich denke, genau darum geht es auch in dem Verein, den ich gründen möchte – Menschen, insbesondere Kinder, zu ermutigen, ihre Andersartigkeit anzunehmen. Hochbegabte Kinder, die oft einfach durch das Raster fallen.«
Die Augen der jungen Frau weiteten sich. »Das klingt unglaublich wichtig. Es gibt so viele Menschen, die sich nicht gesehen fühlen. Ich finde das großartig, was du da vorhast.«
Clara fühlte, wie sich eine sanfte Wärme in ihr ausbreitete – ein Gefühl der Bestätigung, das sie schon so lange vermisst hatte. Vielleicht war sie tatsächlich auf dem richtigen Weg. Vielleicht könnte sie etwas bewirken, das über sie selbst hinausging. Sie blickte auf ihre Notizen, dann wieder zu der jungen Frau, die sie mit einer Mischung aus Bewunderung und Neugier ansah.
»Vielleicht schaffe ich es wirklich, etwas zu verändern«, dachte Clara. »Nicht nur mein eigenes Leben, sondern auch das von anderen.« In diesem Moment schien es, als würde ein neuer Pfad vor ihr sichtbar werden, einer, der in unbekannte, aber verheißungsvolle Richtungen führte. Und diesmal würde sie es nicht allein tun. Flo war an ihrer Seite, und mit ihm würde sie etwas aufbauen, das anderen Hoffnung gab – und ihr selbst ein Gefühl von Sinn und Zugehörigkeit. Dieser Gedanke verlieh ihr eine Zuversicht, die sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Und so schrieb sie die ersten Worte ins Notizbuch, das bisher leer geblieben war: »Verein für junge Hochbegabte – eine Chance für diejenigen, die sonst keine bekommen.«
Claras Hand glitt ruhig über die Seite, während sie weiterschrieb. Es war ein kleiner Schritt, aber er führte in eine Zukunft, die sie selbst gestalten würde, in der sie ihre eigene Wahrheit leben konnte – eine Zukunft, die von Mut, Gemeinschaft und der Kraft, anders zu sein, geprägt war.
Kapitel 2
VISIONEN UND ZWEIFEL
Der Morgen war kühl, und die Sonne schien als sanfter, blasser Schein am Horizont. Clara saß am Schreibtisch in ihrer kleinen Wohnung und blickte gedankenverloren aus dem Fenster. Es war ein typischer Frühlingstag, und die Welt um sie herum erwachte langsam. Vögel sangen, als wollten sie die Verheißungen eines neuen Tages in die Welt hinaustragen. Vor ihr lagen eine Kaffeetasse und ein Block Papier, auf dem grob die Skizzen und Ideen für den Verein zu sehen waren, den sie mit Flo gründen wollte. Ein Verein für hochbegabte Kinder, besonders für die, die aus schwierigen Verhältnissen kamen.
Clara nahm ihre Tasse und nippte an dem noch heißen Kaffee. Sie hatte beschlossen, ihren Job auf 80 Prozent zu reduzieren, um mehr Zeit für ihre Träume zu haben. Ihr Chef war nicht begeistert gewesen, aber sie hatte sich durchgesetzt. Es war keine Entscheidung gewesen, die sie leichtfertig getroffen hatte – die finanzielle Sicherheit ihres Jobs gab ihr eine Art von Stabilität, auf die sie lange nicht hatte verzichten wollen. Doch etwas in ihr war im letzten Jahr erwacht, etwas, das nicht mehr zu beruhigen war.
Flo war ihr in dieser Zeit eine große Stütze gewesen. Sie hatten viele Abende damit verbracht, über den Verein zu sprechen, Ideen zu entwickeln, wie sie diesen Kindern helfen könnten, die oft zwischen den Ritzen des Systems fielen. Flo hatte Clara bestärkt, dass dies der richtige Schritt war – nicht nur für die Kinder, sondern auch für sie selbst. Clara wusste, dass sie mit ihrer Hochbegabung oft das Gefühl gehabt hatte, nicht in die Gesellschaft zu passen, und das wollte sie nun ändern – nicht nur für sich, sondern auch für andere.
Der Entschluss, den Verein zu gründen, war nicht leicht gewesen. Es gab so viele Unbekannte, so viele Ängste, die sie bisher nicht überwunden hatte. Clara wusste, dass ein langer Weg vor ihr lag, bis aus dieser Idee etwas Handfestes werden würde. Aber wenn sie daran dachte, was dieser Verein bewirken könnte – jungen Menschen eine Stimme zu geben, ihnen die Chance zu bieten, ihre Stärken zu entdecken und zu nutzen – dann fühlte sich all die Unsicherheit plötzlich wie ein kleiner Preis an.
Die Tür zum Wohnzimmer ging auf, und Flo trat ein, noch leicht verschlafen. Seine Haare standen in alle Richtungen ab, und sein T-Shirt war zerknittert, aber er lächelte. »Guten Morgen, Träumerin«, sagte er sanft und setzte sich zu ihr an den Tisch.
Clara sah ihn an und konnte nicht anders, als zurücklächeln. »Morgen. Ich habe schon wieder an die ganzen Dinge gedacht, die wir organisieren müssen. Ich weiß, es ist noch ein langer Weg, aber ich kann nicht aufhören, darüber nachzudenken, wie wir diesen Kindern helfen können.« Flo nahm ihre Hand und drückte sie leicht. »Das ist gut so. Solche Gedanken bedeuten, dass du bereit bist, etwas Großes zu tun. Die Kinder werden so viel von dir profitieren, und ich glaube fest daran, dass du den Unterschied machen wirst.« Er schaute auf die Notizen, die vor Clara lagen. »Wir werden das zusammen schaffen. Ein Schritt nach dem anderen.«
Clara nickte. Es gab immer wieder Momente, in denen ihr Mut ins Wanken geriet. Momente, in denen sie sich fragte, ob sie wirklich stark genug war, diesen Weg zu gehen. Aber dann war da Flo – mit seinem unerschütterlichen Glauben an sie, seiner Fähigkeit, ihre Zweifel zu zerstreuen, bis sie nur noch als Schatten in der Ferne verblieben. Sie wusste, dass sie mit ihm an ihrer Seite alles erreichen konnte.
Einige Wochen später stand Clara vor dem Gebäude einer Stiftung, die sie als potenziellen Partner für den Verein gewinnen wollte. Es war ein modernes Gebäude, Glas und Stahl reflektierten das Licht der Sonne, und Clara spürte die Nervosität in ihrem Magen. Heute würde sie mit einem der Verantwortlichen der Stiftung sprechen, um herauszufinden, ob sie Unterstützung für ihren Verein gewinnen konnte.
»Du schaffst das, Clara«, murmelte sie zu sich selbst, bevor sie tief einatmete und durch die Glastür trat. Der Empfangsbereich war groß und hell, eine Dame hinter dem Tresen lächelte sie freundlich an. Clara stellte sich vor und wurde gebeten, Platz zu nehmen. Ihr Herz pochte, und sie versuchte, ruhig zu atmen. Dies war ein wichtiger Schritt für den Verein – der erste Versuch, über ihre Idee hinauszugehen und jemanden von außen davon zu überzeugen.
Nach einigen Minuten wurde sie von einem Mann mittleren Alters, Herr Bergmann, in sein Büro gebeten. Er war freundlich, mit einer ruhigen Stimme, die Clara ein wenig von ihrer Anspannung nahm. Sie setzten sich an einen großen Tisch, und Clara begann, ihre Vision zu schildern. Sie sprach von den hochbegabten Kindern, die oft nicht die Möglichkeiten erhielten, die sie brauchten, um ihre Talente zu entfalten. Sie erzählte von ihrer eigenen Erfahrung, von den Hürden, die sie als hochbegabtes Kind überwinden musste, und wie sehr sie sich gewünscht hätte, jemanden zu haben, der sie versteht.
Herr Bergmann hörte aufmerksam zu, nickte immer wieder und stellte gelegentlich Fragen. Clara spürte, wie sie immer sicherer wurde, je länger sie sprach. Es war ihre Geschichte, und sie erzählte sie mit einer Leidenschaft, die sie selbst überraschte. Am Ende des Gesprächs lehnte sich Herr Bergmann zurück und sah Clara lächelnd an.
»Ihr Projekt klingt sehr vielversprechend, Clara. Ich denke, wir könnten Wege finden, Sie zu unterstützen, sowohl finanziell als auch durch unsere Netzwerke. Es wird sicherlich Herausforderungen geben, aber ich bin überzeugt, dass Ihre Begeisterung und Ihr Engagement Sie weit bringen werden.«
Clara fühlte, wie eine Last von ihren Schultern fiel. Sie hatte nicht damit gerechnet, gleich beim ersten Gespräch eine so positive Rückmeldung zu bekommen. Dankbarkeit und Stolz breiteten sich in ihr aus – sie hatte den ersten Schritt getan, und es war gut gelaufen. »Vielen Dank, Herr Bergmann. Ihre Unterstützung wäre wirklich eine große Hilfe für uns.«
Nach dem Gespräch verließ Clara das Gebäude und trat hinaus in den strahlenden Sonnenschein. Sie blieb kurz stehen, schloss die Augen und atmete tief ein. Ein Teil von ihr konnte immer noch nicht glauben, dass sie diesen Schritt wirklich gewagt hatte. Doch sie wusste, dass sie es tun musste. Die Kinder, die sie mit dem Verein unterstützen wollte, brauchten jemanden, der an sie glaubte – jemanden, der ihre Potenziale erkannte, so wie Flo und Lena sie in Clara erkannt hatten.
Am Abend traf sich Clara mit Flo in ihrem Lieblingscafé. Das Notizbuch lag wieder vor ihnen, diesmal gefüllt mit neuen Ideen und Kontakten, die sie durch das Gespräch mit Herrn Bergmann gewonnen hatte. Clara fühlte sich, als wäre sie auf einem neuen Niveau der Entschlossenheit angekommen. Flo schaute sie stolz an, während sie ihm von ihrem Treffen erzählte.
»Das klingt fantastisch, Clara. Ich wusste, dass du es schaffst. Du hast eine unglaubliche Art, Menschen für dich zu gewinnen, wenn du von deinen Ideen erzählst.«
Clara lächelte verlegen. »Ich hatte einfach das Gefühl, dass er wirklich zugehört hat. Es ist selten, dass jemand meine Gedanken wirklich versteht.«
Flo nickte. »Und genau deswegen wirst du diesen Verein gründen und ihn erfolgreich machen. Weil du nicht aufgibst, selbst wenn die Dinge schwer werden. Und du hast Menschen, die an dich glauben – wie mich.«
Clara spürte Tränen der Rührung in ihren Augen. Sie hatte oft das Gefühl gehabt, allein zu sein, besonders in ihrer Kindheit, als niemand ihre Art zu denken, wirklich verstand. Aber jetzt, in diesem Moment, wusste sie, dass sie nicht allein war. Sie hatte Flo, und sie hatte ihre Vision für den Verein. Und vielleicht, nur vielleicht, würde sie es schaffen, diesen Traum in die Realität zu führen.
In den kommenden Wochen nahm das Leben eine neue Routine an. Ihre neu gewonnene Freizeit verbrachte sie damit, die nächsten Schritte für den Verein zu planen. Sie sprach mit weiteren Stiftungen, baute Kontakte zu Schulen auf und begann, ein Netzwerk von potenziellen Mentoren zusammenzustellen – Menschen, die bereit waren, die jungen Hochbegabten zu begleiten und ihnen bei der Entwicklung ihrer Fähigkeiten zu helfen.
Eines Nachmittags saß Clara in ihrer Wohnung und bereitete eine E-Mail für eine Stiftung vor, als ihr Handy klingelte. Es war Lena, die Barkeeperin, die für Clara mittlerweile eine enge Freundin geworden war. Lena hatte Clara ermutigt, ihre Hochbegabung zu akzeptieren, und sie war eine der Ersten gewesen, die ihr zu dem Schritt gratuliert hatte, den Verein zu gründen.
»Hey Clara, hast du heute Abend Zeit? Ich dachte, wir könnten uns treffen und über deine Fortschritte reden. Ich habe eine Idee, die dich interessieren könnte.«
Clara war neugierig. Lena hatte immer gute Ideen, und ihre Sichtweise auf die Dinge war oft inspirierend. »Klar, das klingt super. Treffen wir uns im Café an der Ecke?« »Ich muss später arbeiten, lass uns also gern in der Bar treffen. Ich habe vorher noch etwas Zeit.« Antworte Lena.
Clara konnte es gar nicht abwarten, Lena endlich zu sehen. Sie war es schließlich, die ihr Leben mit ihrer Idee so verändert hatte. Abends in der Bar angekommen begrüßten Sie sich überschwänglich, wie Freundinnen, die sich seit Monaten nicht gesehen hatten. Als sie an Ihrem Lieblingstisch in der Nische angekommen waren, schaute Lena sie bedeutungsvoll an. »Weißt du, Clara«, sagte Lena, »dein Verein ist wunderbar, aber ich denke, er könnte noch mehr Menschen erreichen. Was wäre, wenn wir uns nicht nur auf lokale Projekte konzentrieren, sondern eine richtige Struktur schaffen? Ein Netzwerk von Mentoren, vielleicht sogar eine Art Partnerschaft mit Unternehmen und Hochschulen? Wir könnten hochbegabte Kinder aus sozial benachteiligten Familien durch die Schulzeit begleiten, bis hin zu einem Studium oder einer Ausbildung. Denk mal darüber nach - nicht nur eine Handvoll von Kindern, sondern eine richtige Bewegung.«
Lenas Augen leuchteten, während sie sprach, und Clara konnte sich der Begeisterung ihrer Freundin nicht entziehen. Das war der Funke, den sie gebraucht hatte - eine Vision, die größer war als das, was sie bisher gewagt hatte zu träumen. Die Vorstellung, nicht nur punktuell zu helfen, sondern wirklich langfristig etwas zu verändern, gab ihr eine Kraft, die sie zuvor nicht gekannt hatte. Es war ein Bild von der Zukunft, in dem sie all ihre Unsicherheiten in die Waagschale warf, um etwas von Bedeutung zu schaffen. Und sie hatte WIR gesagt. Lena ihre mittlerweile trotz des Altersunterschiedes beste Freundin wollte Sie bei ihrem Projekt unterstützen.
»Das wäre großartig, Lena«, sagte Clara, und ihre Stimme bebte leicht vor Aufregung. »Ein Netzwerk von Mentoren, Menschen, die die Kinder unterstützen, ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind, … Wie hätte mein Leben anders ausgesehen, wenn ich so jemanden gehabt hätte? Jemanden, der an mich geglaubt hätte?« Ihr Blick verlor sich für einen Moment in der Ferne, als sie an die endlosen Stunden ihrer Kindheit dachte, in denen sie sich fremd gefühlt hatte, unverstanden und irgendwie immer am Rand der Gemeinschaft.
Lena nickte, ihre Augen voller Verständnis. »Genau das, Clara. Wir könnten die sein, die den Kindern all das geben, was wir selbst nicht hatten – Zuversicht, Förderung, den Glauben, dass sie etwas Besonderes sind, dass ihre Art zu denken nicht falsch ist, sondern ein Geschenk.«
Diese Idee, die Lena in den Raum geworfen hatte, begann wie ein Samen in Claras Herzen zu keimen. Das war es, was sie wirklich wollte – eine Bewegung schaffen, die nicht nur einzelne Leben berührte, sondern eine ganze Generation junger Menschen ermutigte, sich selbst zu vertrauen. Ein Verein war der Anfang gewesen, aber jetzt sah sie klarer, dass sie mehr tun musste, um ihre Vision in die Realität umzusetzen.
»Wir könnten den Kindern ein Sprungbrett bieten«, flüsterte Clara, ihre Augen leuchteten vor Entschlossenheit. »Wir könnten ihnen helfen, aus der Enge ihres Alltags herauszutreten, ihnen zeigen, dass ihre Träume möglich sind. Es wird nicht leicht werden, aber es ist das, was ich tun muss, Lena. Ich bin bereit.«
Lena lächelte, und in ihren Augen lag der gleiche Funken Entschlossenheit, der auch Clara erfasst hatte. »Dann lass uns loslegen. Lass uns die Welt ein Stück besser machen – für all jene, die noch darauf warten, dass jemand ihre Talente erkennt.«
In diesem Moment wusste Clara, dass sie nicht mehr nur träumte – sie war bereit, zu handeln.